Kirche & Widerstand

Der Historiker Dr. Heinz Arnberger über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat während des NS-Regimes:

„Die Kirche war während der nationalsozialistischen Herrschaft, im Gegensatz zu politischen Parteien und anderen Ideologien, als Institution nicht verboten. Sie konnte sozusagen im Staat ‚mittun‘ und wurde in gewisser Weise vom NS‑Regime benutzt, etwa in Form des Miteinbeziehens von Gott und Religion in die Reden nationalsozialistischer Führer oder im Rahmen öffentlicher Feierlichkeiten.

Warnende Stimmen in Österreich vor 1938

Besonders geprägt war das Verhältnis Staat ‑ Kirche durch die dem Nationalsozialismus eigenen Mittel der Einschüchterung, des Terrors und der Gewalt. Angriff durch den Nationalsozialismus und Abwehr durch die katholische Kirche begannen in Österreich bereits Anfang der dreißiger Jahre und nicht erst mit dem März 1938.

1933, nachdem Hitler in Deutschland die Macht übernommen hatte, gab es in Österreich von höchster kirchlicher Seite zwei Warnungen vor dem Nationalsozialismus, die leider nicht ernst genommen wurden. Zum einen war das ein Hirtenbrief des Linzer Bischofs, zum anderen eine Stellungnahme des Wiener Erzbischofs anlässlich der Hauptversammlung der katholischen Männervereine in den Wiener Sofiensälen.

Zwischen 1934 und 1938 folgten neben zum Teil verharmlosenden weitere antinationalsozialistische Stellungnahmen sowie Maßnahmen seitens der Kirche, und der Vatikan äußerte sich besorgt, ‚dass Österreich das erste Opfer des nationalsozialistischen Imperialismus sein werde‘.

Verkennung der Gefahr

Andererseits hatte der in weiten katholischen Kreisen verbreitete Antisemitismus das Eindringen des NS‑Rassismus in die Bevölkerung nicht unwesentlich erleichtert. So hatten nicht wenige katholische Vereinigungen den so genannten ‚Arierparagraphen‘ in ihre Statuten aufgenommen und somit Bewerbern, die den nationalsozialisti­schen Rassengesetzen nicht entsprachen, die Mitgliedschaft verweigert.

Am 18. März 1938 begrüßten bekanntlich die österreichischen Bischöfe, allen voran der Erzbischof von Wien, in völliger Verkennung der wahren Absichten des NS‑Regimes und der auf sie zukommenden Entwicklung die Annexion Österreich durch Hitlerdeutschland in einer offiziellen Erklärung.

Scheitern der kirchlichen Bemühungen um ein Nebeneinander

Die nach dem ‚Anschluss‘ und vor der Volksabstimmung vom 10. April 1938 gegebenen Versprechungen Hitlers und seines Wiener Gauleiters Joseph Bürckel an die katholische Kirche erwiesen sich als raffinierte Täuschungs‑ und Ausnützungsmanöver zur Überwindung der katholischen Kirche und zur Erreichung der totalitären nationalsozialistischen Ziele.

Die sich einige Monate hinziehenden Verhandlungen über einen Modus vivendi – also ein Miteinander bzw. Nebeneinander der politischen Machthaber und der Kirche ‑ scheiterten daran, dass die Nationalsozialisten nicht gewillt waren, sich an Versprechungen und Verträge zu halten.

Allzu bald fand sich das seit jeher vorhandene Misstrauen katholischer Persönlichkeiten bitter bestätigt, denn im Punkt 24 des NSDAP‑Programms hieß es: ‚Die Partei als solche steht auf dem Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell zu binden.‘

Die katholische Kirche Österreichs sollte also ohne Schutz und Recht dastehen und mit Schikanen ‚durchlöchert‘ werden. Das Bemühen der Kirche, mit den neuen Machthabern ein zumindest erträgliches Nebeneinander herbeizuführen, war endgültig gescheitert.

Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938

Nachdem der Kardinal schon im September in Kirchschlag vor einer großen Menge von Gläubigen in mutiger Form die Rechte der Kirche verteidigt hatte, nahm er die Gelegenheit wahr, anlässlich einer Jugendfeier zum Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 im Stephansdom zu sprechen. Die Ausschreibung dieser bereits jahrelang gefeierten Jugendandacht konnte diesmal wegen der Gefahr des Verbots seitens der Gestapo lediglich im Diözesanblatt erfolgen. Die Werbung dafür oblag somit den Pfarrern und Jugendseelsorgern. Etwa 7.000 junge Leute kamen in den Dom.

Hauptschiff des Wiener Stephansdoms

Der Kardinal appellierte an die Jugendlichen, treu zu ihren Pfarren zu stehen, nachdem die Aktivitäten kirchlicher Jugendgemeinschaften außerhalb der Pfarrgebäude verboten worden waren. Er sagte unter anderem: ‚Meine liebe katholische Jugend Wiens, wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer, unserem König und zu seiner Kirche.‘

Größte Demonstration im Deutschen Reich gegen die NS-Herrschaft

Nach Beendigung der Andacht sammelten sich die jungen Leute auf dem Platz vor dem Dom. Einzelne Nationalsozialisten wurden verdroschen und dann abgewandelte NS‑Sprüche im Chor geschrien wie etwa: ‚Ein Volk, ein Reich, ein Bischof‘ oder ‚Lieber Bischof, sei so nett, zeige dich am Fensterbrett.‘ Zeitzeugen schilderten später diesen Abend als einen Zustand der Ekstase, eine Art Ausnahmezustand bzw. emotionalen Ausbruch. Das Rosenkranzfest 1938 war zur größten Demonstration im Deutschen Reich gegen die NS‑Herrschaft geworden.

Etwa 24 Stunden später verwüsteten und plünderten Angehörige der Hitler‑Jugend das Erzbischöfliche Palais und das sogenannte Churhaus. Dabei warfen sie den Priester Johann Krawarik vom 1. Stock in den Hof. Ein zufällig für Bauarbeiten aufgeschütteter Sandhaufen bewahrte ihn vor tödlichen Verletzungen.

Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Leben

Knapp eine Woche nach dem Rosenkranzfest organisierten die nationalsozialistischen Machthaber eine riesige Kundgebung auf dem Heldenplatz. Gauleiter Bürckel machte in einer brutalen Rede gegen den Kardinal diesen für die vorangegangenen Ereignisse verantwortlich.

Ein Demonstrationszug zog unter Pfuirufen am Erzbischöflichen Palais vorbei. Auf den mitgetragenen Spruchbändern stand zu lesen: ‚Die Pfaffen an den Galgen‘, ‚Nieder mit dem Klerus‘, ‚Innitzer nach Dachau‘, ‚Zum Teufel mit den Jesuiten‘, ‚Ohne Juden, ohne Rom, wird erbauet Deutschlands Dom‘, ‚Innitzer und Jud, eine Brut“.

Damit war die Kirche Österreichs aus dem öffentlichen Leben völlig verbannt, und das NS‑Regime konnte ungehindert seine Barbareien begehen. Die Kirche ging im bildlichen Vergleich in die Katakomben, wo sie sich mit neuen Märtyrern auf ihre Aufgabe im neuen Österreich vorbereitete. Eine von ihnen ist Sr. Restituta. In ihrem Fall ging es den Nationalsozialisten wörtlich um die Kirchenpolitik in den neuen Gebieten. Den Vollzug der Todesstrafe hielten sie aus Abschreckungsgründen für erforderlich.

Diffamierung und Behinderung der Kirche

Der Hauptangriff der vielfältigen NS‑Maßnahmen richtete sich ‑ meist in Form von Diffamierungen ‑ gegen das Kirchenvermögen bzw. die Klöster, um diese aufheben zu können, gegen das katholische Erziehungswesen (Kindergarten, Religionsunterricht in den Schulen, Jugendbetreuung), gegen katholische Vereine und das der nationalsozialistischen Weltanschauung entgegengesetzte Schrifttum.

Die Abschaffung der Kongrua (Klerusgehalt) und anderer Leistungen an die Kirche von Seiten des Staates, die Einführung der Kirchenbeiträge (um Kirchenaustritte zu fördern), Behinderung, Einschränkung und sogar Verbot der Pfarrblätter sowie Vorladungen von Klerikern vor die Gestapo wegen angeblicher NS‑feindlicher Haltung und Äußerungen waren weitere allgemeine Maßnahmen.

Mit der Beschlagnahme und Enteignung betreffend kirchliche Vereine, Organisationen, Institutionen etc. sollten Kirche und Seelsorge aus dem öffentlichen Leben völlig ausgeschaltet, sozusagen in die Sakristei verdrängt werden.

Systematische Verfolgung und Ermordung

Prediger wurden wegen missliebiger, staats‑ und parteifeindlicher Äußerungen, verschiedener anderer Vergehen sowie bei großem Zulauf Gläubiger verwarnt, versetzt, bestraft und ausgewiesen, einzelne in Schutzhaft genommen. Einer der Fälle individueller Verfolgung ist der des Pfarrers Richard Frasl aus Groß‑Siegharts im Waldviertel. Er wurde inhaftiert wegen Nichtläutens der Kirchenglocken beim Begräbnis der aus der Kirche ausgetretenen Frau des Gemeindearztes und starb wenige Tage vor Kriegsende im Konzentrationslager.

Außerkirchliche Äußerungen von Klerikern gegen die NS‑Partei und ihre Verfügungen, Einschränkungen und Behinderungen, die meist nach dem so genannten ‚Heimtückegesetz‘ geahndet wurden, ‚wehrkraftzersetzende‘ Äußerungen über den Krieg sowie Verbrechen nach der ‚Volksschädlingsverordnung‘ oder nach der ‚Kriegssonderstrafrechtsverord­nung‘ (KSSVO) zogen Vorladungen, Verhöre und jegliche Art der Bestrafung nach sich, bis hin zu Zuchthausstrafen.

Widerstandsaktionen katholischer Priester und Ordensangehöriger, meist in politisch organisierten Gruppen, wurden oftmals mit dem Todesurteil bestraft. Sie können hier nicht erläutert, aber bei gegebenem Interesse in ausreichender Literatur nachgelesen werden.

Widerstand als Hoffnungsträger

Die Forschung beweist eindeutig ein hohes Maß an Widerstand und Verfolgung im Bereich der katholischen Kirche. Die antinationalsozialistische Haltung von Priestern und Ordensangehörigen hat große Teile der Bevölkerung zu loyalen Bekenntnissen gegenüber der Kirche sowie deren Repräsentanten ermutigt. Auf diese Weise wurden viele Menschen bestärkt, den Glauben und die Hoffnung auf die Wiedergewinnung von Menschenwürde, demokratischer Freiheit und staatlicher Eigenständigkeit nicht zu verlieren und auch selbst aktiv dafür einzutreten.“

Hofrat Dr. Heinz Arnberger

Historiker, Mitarbeiter i. R. des Niederösterreichischen Landesarchivs und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, stv. Obmann des Vereins „Restituta-Forum“

(Original ohne Zwischentitel, Datum des Vortrags: 27.03.2000)