Rundfunkvortrag Anni Haider 1946

Rundfunkvortrag der kommunistischen Parteifunktionärin Anni Haider 1946

Ordensfrau Kafka und Parteifrau Haider vereint für Österreich und gegen die NS-Gewaltherrschaft!

Anna Haider (geb. 22. März 1902 in Wien, gest. 22. Juni 1990 in Linz) entstammte einer Wiener Arbeiterfamilie, war Betriebsrätin in einem Textilbetrieb und betätigte sich in der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ).

Im September 1942 wurde sie vom NS-Volksgerichtshof zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Von Ende März bis Ende Oktober 1942 war sie im Wiener Landesgericht immer wieder mit Sr. Restituta zusammen und blieb ihr über den Tod hinaus in tiefer Freundschaft verbunden. Nach der Befreiung 1945 war Anna Haider in mehreren Funktionen der KPÖ tätig und wirkte im Bundesverband österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus (KZ-Verband). Die konfessionslose Kommunistin war eine wesentliche Augenzeugin im Seligsprechungsverfahren für Sr. Restituta.

KPÖ-Funktionärin und Sr. Restitutas Zellengenossin Anna Haider 1946

Berührend ist der „Rundfunkvortrag Anni Haider“ vom 1. August 1946 in Radio Wien, im Druck erschienen in: Stimme der Frau, Nr. 33, 17. August 1946, 2. Jahrgang, Seite 4 (original ohne Überschriften).  Davon hier ein Auszug:

Im Gedenken an Zellengenossin Sr. Restituta

Liebe Frauen, liebe Mütter! […] Ich will dir, liebe Mutter, dir, liebe Frau, dir, Österreicherin, eine wahre Begebenheit aus der Nazizeit erzählen, da ich in Haft war.

Gestapo-Fotos von Anna Haider (c) Bildarchiv der KPÖ

Schwester Restituta aus dem Hartmannkloster in Wien, eine heimatliebende Österreicherin, die, weil sie Österreich liebte, unter dem faschistischen Henkerbeil sterben musste, war damals meine Zellengenossin. Ihr Bild vor mir, wird Vergangenes wieder lebendig und tiefe Erregung erfasst mich, wenn ich an die trotz allem Leid schönen Stunden in der Zelle mit ihr denke.

Gestapo-Fotos von Sr. Restituta (Quelle: WStLA)

In der Zelle. Restituta betet ihr Brevier. Um ihre Andacht nicht zu stören, sitze ich ruhig beim Tisch, versunken in Gedanken. Restituta hat ihr Gebet beendet, setzt sich zu mir und fragt: „Was hast du gemacht, Haider, während ich mit unserem Herrgott sprach?“ „Ich dachte an das Elend unseres Volkes und an das Leid unserer Frauen und Mütter“, erwiderte ich.

Eng umschlungen sprachen wir nun von Vergangenem. Wir sprachen dann über die Fehler, die wir alle gemacht haben, über alles das, was uns der Faschismus aufgebürdet hatte. Wir sprachen über das Leid unserer Frauen und Mütter und sind uns einig gewesen. Nie wieder dürfen wir in die alten Fehler versinken, sondern wir müssen lernen und neue Wege gehen.

Über alle Schranken von Weltanschauungen hinweg Einigkeit für ein neues Österreich

„Weißt du, Haider“, sagte Restituta, „eines ist mir klar geworden. Unser Volk müsste einig sein. Über alle Schranken von Weltanschauungen hinweg, in dem einen Gedanken, in dem einen Willen: Kampf gegen den Faschismus. Gemeinsame Arbeit zum Wiederaufbau unseres Landes Österreich! Alle müssten so einig sein wie du und ich, wie alle unsere Mitgefangenen.“ „Ja, Restituta – ein neues Österreich müssten wir uns erbauen“, gab ich ihr zur Antwort. […]

Mitbestimmungsrecht der Frauen für den Frieden

Wir sahen, Restituta und ich, euch, liebe Frauen und Mütter, vor uns, nicht mehr mit sorgendem Blick und mit verhärmten Gesichtern, sondern lachend und froh. Denn auch für euch hatten wir uns in Gedanken gesorgt, wenn wir dafür zu arbeiten gelobten, dass niemals wieder durch Krieg unsere Söhne und Väter auf den Schlachtfeldern hingemordet werden können. Wir gaben euch dort in der Zelle die wirklich wahre Gleichberechtigung – das Mitbestimmungsrecht. „Ja“, sagte Restituta, „nach all dem Leid, das diese Armen erleben mussten, werden sie auch dafür sorgen, dass Vergangenes niemals wiederkehrt.“ […]

Wir sprachen davon, wie schön es sein wird, wenn wir mit allen Völkern der Erde in gutem Einvernehmen, in herzlicher Freundschaft leben werden, und durch dieses gute Verhältnis der Frieden für immer gesichert sein wird. So träumten und sprachen wir viel von einem schöneren und glücklicheren Österreich, und wir sprachen davon, alles, was Österreich an Erdschätzen birgt, für unser Volk zu erschließen und das heute so arme Österreich zu einem reichen Österreich zu machen.

Zuerst der Mensch!

Einmal war es, dass Restituta zu mir sagte: „Aber Haider, ich glaube, du bist doch vielleicht anders als andere Kommunisten!“ „Warum?“ „Weil du mir doch nie etwas sagst, wenn ich bete. Wenn ich mit meinem Herrgott spreche.“ „Liebe Restituta“, erwiderte ich, „hast du jemals ein unrechtes Wort zu mir, der Kommunistin, gesprochen? – Nein! Siehst du in mir nicht immer nur den Menschen, nicht die oder jene Parteiangehörige, die Parteiinteressen vertritt?  Achtest du in mir nicht vor allem nur den Menschen, der gleich dir das große Menschenleid lindern helfen möchte und für die Menschheit das Beste will?“ […]

Eine tiefe Freundschaft auch übers Grab hinaus ist es geworden – weil du, Restituta, tiefes Verständnis für die gehetzte Kommunistin hattest, so wie ich, die Kommunistin, für die gehetzte Katholikin. […]

Letztes Beisammensein wurde zum Schwur. Die Überlebende hat für diesen Schwur einzustehen. Ich wurde, nachdem der Staatsanwalt den Tod für mich betragt hatte, zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Restituta und ich wurden getrennt. Doch dank der Hilfe guter Menschen konnten wir uns öfters noch sehen. Dann kam Restitutas Verhandlungstag. Nach vier Stunden eskortierte man Restituta, die Nonne, als Todeskandidatin in die Todeszelle.

Letzter Abschied in der Todeszelle: Vergangenes darf nie wiederkehren!

Ich erinnere mich an die Stunde des allerletzten Abschiedes. Ich hatte mich damals zum Transport nach dem Zuchthaus Aichach in Oberbayern vorzubereiten. Nach einer schlaflosen Nacht bat ich eine uns gutgesinnte Aufseherin, nur ein einziges Mal mit Restituta zusammengeführt zu werden, um ihr Lebewohl sagen zu können. Heimlich führte sie mich in die Todeszelle.

Zeichnung: Restituta und ihre Mitgefangene Anna Haider umarmen sich in der Zelle

Kommunistin Anni Haider und Ordensfrau Restituta verabschieden sich in Restitutas Todeszelle (Foto: F. J. Rupprecht)

Gefasst, einen Strickstrumpf in der Hand, saß Restituta am Tisch. Als sie die Tür öffnen hörte und mich erblickte, rief sie nur: „Haider!“ Wir sprachen uns aus. Während ihr die Tränen über die Wangen rollten, sagte sie: „Haider, ich bin so glücklich, dass du leben darfst. Aber ich lege dir ans Herz, du darfst mir nie den Schwur vergessen, den wir uns gegeben haben. Vergangenes darf nie wiederkehren. Vergiss Restituta nicht, die als Österreicherin gekämpft hat und als Österreicherin stirbt.“ Und so spreche ich zu euch, um den Schwur wahr zu machen…

Anna Haider im Interview

Hören Sie Anna Haider im O-Ton in einem Interview von 1978 über die gemeinsame Zeit mit Sr. Restituta im Wiener Landesgericht!