Geschwisterlichkeit

Am 29. Oktober 1942 wurde Sr. Restituta zum Tode verurteilt und am 30. März 1943 gemeinsam mit neun kommunistischen WiderstandskämpferInnen hingerichtet. In ihrem Andenken feierten wir am 29. Oktober 2018, dem liturgischen Gedenktag der seligen Restituta, um 19.00 Uhr im Wiener Stephansdom ein Fest, gemeinsam veranstaltet von den Franziskanerinnen von der christlichen Liebe, österreichischen KommunistInnen und der Fokolar-Bewegung. Es war berührend, dass wir 75, 76 Jahre nach Sr. Restituta und ihren kommunistischen Mitgefangenen sichtbar machen durften, dass ihr Erbe in Mitgliedern unserer beiden Gesinnungsgemeinschaften heute weiterlebt: dass unterschiedslos allen, die gegen die NS-Diktatur für Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Menschenrechte ihr Leben einsetzten, Respekt und Anerkennung gebührt, und dass wir gemeinsam gegen Tendenzen zur Aushöhlung des Rechtsstaats wachsam bleiben müssen.

Restituta-Plastik des kommunistischen Bildhauers Alfred Hrdlicka in der Barbarakapelle des Wiener Stephansdoms

Wir gedachten der vielen Männer und Frauen, die unter Einsatz ihres ganzen Seins dem Unrecht entgegentraten. Zugleich wollten wir ein Zeichen der Solidarität mit allen Verfolgten setzen, die aus politischer und religiöser Unterdrückung und Elend flüchten. Im Intimität schaffenden Halbdunkel des Stephansdoms hatten sich vor dem Lettner, auf dem Porträts hingerichteter KommunistInnen und Sr. Restitutas angebracht waren, mehr als 300 Mitfeiernde eingefunden.

Der Stephansdom – das Haus aller, die für Recht und Gerechtigkeit eintreten

Begrüßung durch Dompfarrer Toni Faber. Im Hintergrund: Kammerschauspielerin Elisabeth Orth und Theresia Natiesta

Dompfarrer Toni Faber war sofort bereit, diesen Abend im Zeichen der Geschwisterlichkeit mit Begrüßung, Gebeten und verbindenden Worten zu begleiten. Der ehemalige Vorsitzende der KPÖ Walter Baier, heute Koordinator des europäischen Forschungs- und Bildungsnetzwerks „transform! europe – network for alternative thinking and political dialogue“, bekannte in seiner Begrüßung seine persönliche Verbundenheit mit dem Stephansdom: „Er war auch unser Haus, er ist das Haus aller, die für Recht und Gerechtigkeit eintreten“. Hintergrund dieser Worte war das Rosenkranzfest vom 7. Oktober 1938 im Stephansdom, das zur größten Widerstandsmanifestation gegen das NS-Regime geworden war.

Begrüßung durch Dr. Walter Baier, ehem. Vorsitzender der KPÖ (Foto: Walter Filip)

Das Leben der ersten Märtyrerin Österreichs stellte Sr. Ruth Beinhauer vor, gekonnt „unterbrochen“ von Pfr. Harald Mally (Pfarre Mauer) und Pfr. i. R. Rudi Schlögl, die mit dem als Wienerlied von Elisabeth Lotterstätter komponierten „Brigittenauer Lied“ aus dem Musical „Restituta“ – Glaube gegen NS-Gewalt mit Gesang, Akkordeon und Gitarre für musikalische Auflockerung sorgten.

Sie sind den andern Weg gegangen…

Ein Highlight des Abends war natürlich die Mitwirkung von Kammerschauspielerin Elisabeth Orth, die so auch ein Zeichen ihres gesellschaftspolitischen Engagements setzte. Sie interpretierte u.a. das bekannte Gedicht „Ich bin den andern Weg gegangen“ des mit 23 Jahren ermordeten kommunistischen Widerstandskämpfers Richard Zach, die Rundfunkrede von Restitutas kommunistischer Mitgefangener Anni Haider aus dem Jahr 1946 und Passagen aus Sr. Restitutas Briefen aus der Haft. Meditative Gedankenpausen zwischen den verschiedenen Programmpunkten schenkte uns Gregor Mikls Orgelspiel.

Kammerschauspielerin Elisabeth Orth (r.) und Theresia Natiesta

Zentraler Punkt war das Gedenken an die 19 Männer und Frauen, die am 30. März 1943 ab 18.00 Uhr im Abstand von 2-3 Minuten von den Schergen des NS-Unrechtsstaats im Wiener Landesgericht enthauptet wurden, darunter 9 KommunistInnen und insgesamt 3 Frauen, von denen eine Sr. Restituta und eine die kommunistische Funktionärin Marie Fischer war. Unter den Kommunisten waren 6 Straßenbahner aus Sr. Restitutas Wiener Heimatbezirk Brigittenau. Ihre Namen sind auf der vom kommunistischen Bildhauer Alfred Hrdlicka für die Barbarakapelle des Stephansdoms geschaffenen Restituta-Büste unserer Schwester buchstäblich ins Herz geschrieben. Nach dem Ertönen einer Klangschale verlasen junge Frauen und Männer von Kommunisten und Fokolar-Bewegung abwechselnd Namen, Alter und Beruf der Hingerichteten – Stille…

Junge VertreterInnen von Kommunisten und Fokolar-Bewegung verlesen die Namen der Enthaupteten des 30. März 1943

Im zweiten Teil wurde u.a. ein Text aus P. Antonio Sagardoys Buch „Gelegen und ungelegen. Die Lebenshingabe von Sr. Restituta“ nicht nur von Theresia Natiesta rezitiert, sondern auch von Roswitha Oberfeld getanzt, die inmitten der Feiernden in ausdrucksstark fließenden Figuren über den Tanzteppich dahinschwebte. Das Gedicht in Prosa trägt den bezeichnenden Titel:

Alles in Fülle

Auf den Boden der harten und z.T. unmenschlichen Wirklichkeit holte uns Maren Rahmanns leidenschaftlicher Vortrag eines von den „Schmetterlingen“ vertonten kritischen Lieds des von den Nazis im KZ ermordeten jüdischen kommunistischen Dichters Jura Soyfer, bei dem sie sich auf dem Akkordeon begleitete. Hier die erste und die beiden letzten Strophen:

Maren Rahmann singt Jura Soyfers „Lied des einfachen Menschen“

Lied des einfachen Menschen

Menschen sind wir einst vielleicht gewesen,
Oder werden’s eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen.
Aber sind wir heute Menschen? Nein!

Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt’s dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien,
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!

Wir sind das schlecht entworfne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt,
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit.

 

Wichtig war für uns auch die Mitwirkung der jungen Muslima Mayas Alkhatib aus Damaskus, die ihre warme, melodische Stimme mit dem Oud, einem arabischen Zupfinstrument, begleitete. Sie sang eine von Mofid Nehme für diesen Abend geschriebene Komposition zum Thema Menschlichkeit und Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Religion und Herkunft. In ähnlicher Stimmung folgte noch ein traditionelles arabisches Lied über die Universalität der Liebe. Beide Lieder wurden von Reinhard Paar mit dem Kontrabass untermalt.

Mayas Alkhatib aus Damaskus singt und spielt mit dem Oud arabische Lieder, begleitet von Reinhard Paar (Kontrabass)

Klare Worte von Papst Franziskus zu einem nicht von der sozialen Frage, der Frage nach Menschenwürde und nach Gerechtigkeit loszulösenden Heiligkeitsideal leiteten über zu Schlusswort und Segen von Dompfarrer Faber, der die Anwesenden noch zum abschließenden Besuch der Barbarakapelle mit Hrdlickas Restituta-Plastik  einlud.

Wir Schwestern danken von Herzen jedem/jeder einzelnen Mitwirkenden, besonders der „Regisseurin“ des Abends hinter den Kulissen, Karin Oberegelsbacher von der Fokolar-Bewegung, und Walter Baier als Vertreter jener KommunistInnen, die schon seit Jahren eine Dialogbasis mit der Fokolar-Bewegung haben.